Anden Radtour 2010
Als ich am nächsten Tag aufbrechen will, gibt es erstmal einen Hagelschauer. Die Leute vom Hostal versichern mir, daß es sowas das letzte Mal vor 5 Jahren gegeben hätte. Trotzdem packe ich meinen Drahtesel und mache mich auf den Weg. Heute wollte ich die Grenze zu Peru überschreiten und morgen Puno erreichen. Der Grenzübergang gestaltet sich schwierig, zunächst muß man sich auf bolivianischer Seite einen Ausreisestempel im Amt für Migration holen um dann auf der anderen Seite in Peru ein Einreiseformular auszufüllen. Stempel in den Pass und es kann weiter gehen. Leider finde ich in der peruanischen Grenzstadt keinen Geldautomaten und so reise ich mit nur den wenigen am Vorabend in Copacabana getauschten „Nuevos Soles“ weiter. Nach einer halben Stunde kommen mir 2 Radler entgegen. Man hält an und tauscht Informationen aus. Die beiden (er Australier, sie aus den Niederlanden) kommen aus Alaska und wollen noch runter nach Feuerland, dazu sind sie schon 2 Jahre unterwegs. Ich schäme mich ein wenig, daß ich zu Hause wegen meiner 5 Wochen am ganz großen Rad gedreht habe. Die beiden sehen es locker und schenken mir noch ein wenig peruanisches Geld, welches sie nicht mehr benötigen. Wir teilen meine Kekse und sitzen noch eine halbe Stunde zusammen und quatschen. Gut das ich die paar Soles noch bekommen habe, denn bis Puno gab es leider keinen Geldautomaten, zur Not hätte ich aber meine Dollar tauschen können.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt verschlechtert sich das Wetter und zu dem schon stark blasenden Gegenwind gesellt sich eine Sturmfront, die sich schnell über den See nähert. Anfangs denke ich noch ich könnte mit Schieben weiterkommen, doch dann reißt der Orkan mir fast das Rad aus den Händen. Schnell flüchte ich mich unter einen Felsvorsprung und warte das Ende der Front ab. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei und ich kann weiterfahren. Hmm, die Wetterstatistik sagte für Juli genau einen Regentag voraus, den habe ich dann heute wohl erwischt. Kurz vor dem Ort Juli (welch Ironie, der Ort heißt wirklich so!) gibt es noch mal einen richtigen Schlussanstieg auf über 4000 m.ü.M. und ich muß die letzten Körner verbraten.
Auf Empfehlung der beiden Radler, suche ich ein bestimmtes Hospedaje. Eine alte huzelige Peruanerin macht mir das Tor auf. Alter ist nicht zu schätzen, wahrscheinlich sehen die Menschen aufgrund der Witterungsbedingungen und der stärkeren Sonneneinstrahlung hier älter aus als sie sind. Nach einem "Gespräch" mit Händen und Füßen (mein Spanisch ist einfach schlecht) bekomme ich ein schönes Zimmer, welches in Deutschland sofort von den entsprechenden Behörden geschlossen worden wäre, aber nach den letzten Wochen bin ich ja einiges gewohnt und freue mich über die Windstille und die lauwarme Dusche. Die gute alte Senora läßt mich sogar in ihrer Küche von mir mitgebrachte Pasta kochen. Dazu gibts dann einen ordentlichen Mate de Coca (Tee), einfach Klasse, da fühlt man sich gleich besser. So gestärkt verbringe ich den Rest des Tages (es ist erst 19:00, aber schon stockdunkel und sehr sehr kalt) und die Nacht in meinem warmen Schlafsack.
Am nächsten Morgen bemerke ich, daß die Sonne schon aufgegangen ist, mein Wecker aber erst in einer Stunde schellen sollte. Ah ja, Peru hat dann wohl eine andere Zeitzone. Es ist Sonntag, alle Geschäfte haben auf, LKWs auf den Straßen, eigentlich alles wie immer, nur einige Leute sind schicker gekleidet als sonst. Juli hat natürlich keinen Geldautomaten und nach der Übernachtung (20 Sol = 5 EUR) bleiben mir nur noch Dollares und ein paar Sol Kleingeld.
Genial, es ist fast windstill, ich rolle mit fast 20 km/h die Straße entlang. Doch die Freude hält nicht lange an, irgendwann am Vormittag ist er wieder da, mein größter Feind. Sofort reduziert sich meine Geschwindigkeit wieder auf ein Maß, daß es mir schwerfällt den Lenker gerade zu halten. Im nächsten größeren Ort gibt es dann endlich eine offene Bank. Riesige Schlangen überall (es ist Sonntag!), man verweist mich auf den Geldautomaten, der will aber keine Mastercard. Also schwinge ich mich wieder vor den Augen der staunenden Peruanern auf meinen Drahtresel und weiter geht's. Unterwegs wieder das gleiche Spiel, wie seit 3 Wochen: Kleine Jungen rufen mir immer wieder von den Feldern "Hola Gringo, hola Gringo" zu. Ich versuche zwar des öfteren richtig zu stellen "No soy Gringo, soy Aleman", aber das scheinen sie nicht zu verstehen. Jedes vorbeifahrende Auto hupt einen an, unabhängig, ob die Straße frei ist oder nicht. Da wünsche ich mir schon mal eine Presslufthupe, wie sie bei den Fußballfans beliebt ist.
Die heutige Tour war alles andere als vergnüglich, ich habe den ganzen Tag für die 80 km bis Puno gebraucht, mit einem Schnitt von 12-13 km/h (netto). Aber zu guterletzt habe ich Puno erreicht, eine etwas größere Stadt, die auch touristisch erschlossen ist. Nach einem Besuch der Tourist-Information (zum ersten Mal sehe ich sowas hier!) empfiehlt man mir das schöne Biker-freundliche Hotel Velana, in dem ich sehr nett empfangen werde. Es gibt einen abgeschlossenen Raum für mein Rad und das Zimmer hat ein Bad mit einer wirklich heißen Dusche ohne Gefahr gegrillt zu werden. Anschließend finde ich sogar einen funktionierenden Bankautomat und bin jetzt erstmal wieder flüssig. In einem netten Restaurant bestelle ich mir ein leckeres Alpakasteak in Wermutsauce, exzellent!
Unsere Ankunft in Chile gestaltet sich schwierig. Nach ca. 19 Std. Flug (einschließlich Aufenthalt in Madrid) haben wir den Kaffee auf. Dazu kommt noch die Zeitverschiebung um 6 Stunden. Doch nun heißt es durch den Zoll und dann erneut Einchecken zu einem Inlandsflug, denn wir wollen ja noch gut 1400 km weiter nördlich nach Antofagasta. Um sich gleich mit der südamerikanischen Mentalität vertraut zu machen, wird hier noch mal schnell eine Gebühr für den Radtransport erhoben. Dann heißt es wieder warten, der Flug geht erst in 4 Stunden. Nach weiteren 3 Stunden mit Zwischenlandung in La Serena kommen wir endlich in Antofagasta an. Wir konnten aus der Luft schon einen ersten Eindruck von der angeblich trockensten Wüste der Welt, der Atacama, gewinnen. Leider liegt der Flughafen von Antofagasta noch ca. 25 km entfernt und da wir ja unsere großen Kartons mit den Fahrrädern dabei haben, ist an einen Minibus, oder normales Taxi nicht zu denken. Wie wir da so vor dem Flughafen stehen werden wir gleich von 2 Damen angesprochen, die für uns ein Großraumtaxi besorgen. 50 $ (US-Dollar ist in Südamerika die heimliche Währung) will man uns für die Fahrt in die Stadt abnehmen. Nach ein wenig (zu wenig) Handeln bezahlen wir 40 $ und helfen dem Taxifahrer beim Einladen unserer 30 kg schweren Kartons. Nach einer kurzen Fahrt, links wüstenähnliche Landschaft mit großen Sandhügeln im Hintergrund, rechts die brausenden Wellen des Pazifiks, erreichen wir die ersten Ausläufer der 300.000 Einwohner Stadt.
Der Taxifahrer setzt uns wie gewünscht am Busterminal am Rande der Stadt ab, denn wir wollen ja heute noch nach Calama. Benedikt kauft 2 Bustickets und es scheint alles klar zu sein. Noch mal 2 Stunden Wartezeit und dann fährt der Bus am Terminal vor. Wir schieben unsere riesigen Kartons Richtung Gepäckklappe. Der Busfahrer sieht uns und winkt direkt ab, die Kartons könnte er nicht mitnehmen. Damit ist der Fall für ihn erledigt und er läßt uns draußen stehen, steigt in den Bus schließt die Türen und fährt los nach Calama. Unsere zweite Begegnung mit der südamerikanischen Mentalität. So langsam bricht hier der Abend an, in Deutschland ist bereits tiefste Nacht und wir wollen nur noch schlafen. Also, was haben wir für eine Wahl, wir schieben unsere Kartons an den Rand, packen aus und bauen unten den ungläubigen Blicken der Einheimischen am Terminal routiniert unsere Räder zusammen. Radtaschen werden eingehängt, Lampen angebracht, denn es wird jetzt schnell dunkel. Das ganze Verpackungsmaterial schieben wir in einen Karton, stellt sich nur noch die Entsorgungsfrage. Also fragen wir. Man empfiehlt uns den Karton einfach um die Ecke herum abzustellen. Wir verstehen erst nicht, wir können doch unseren Müll nicht einfach auf der Straße stehen lassen, der Bedienstete des Terminals zuckt mit den Achseln. Das scheint hier niemanden wirklich zu interessieren. Dann fragen wir nach einem bestimmten Hostal und machen uns auf den Weg in die Stadt. Es ist bereits stockdunkel und wir haben nur eine wage Vorstellung, wohin wir fahren müssen. Irgendwann erreichen wir eine Art Stadtzentrum und fragen uns weiter durch. Überall sind Menschen, die wild durcheinander rennen, es ist laut, Autos hupen ständig, man muß aufpassen, daß man nicht angefahren wird. Das anvisierte Hostal können wir nicht finden. Zuguterletzt kommen wir aber doch noch unter. Völlig entnervt ziehen wir nocheinmal los, um einen Geldautomaten zu finden und ein paar Lebensmittel einzukaufen. Dann kommen wir endlich zur Ruhe.
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